Atemübungen


Atemübungen
Atemübungen

Lehrmeister Volker Jung beim inneren Atem-Qi Gong II in unmittelbarer Nähe der neuen Forums-Zentrale


Wir integrieren innere Atemübungen in unsere drei Hauptzweige:

  1. Gesundheit
  2. Meditation
  3. Kampfkunst

Was können Atemübungen für eine gute Tai Chi- oder Qi Gong-Praxis, oder eben die Praxis anderer innerer Kampfkünste, nutzen? Gibt es irgendwelche Fortschritte in der Praxis innerer Künste, die man nur oder sehr stark durch gezielte Atemübungen fördern oder verbessern kann? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns einmal mehr die drei wesentlichen Arten vor Augen führen, wie Chi bewegt, vermehrt, aufgenommen und gelenkt werden kann. Das sind, wie schon öfter zuvor benannt, die folgenden drei Arten:


  1. Man kann Chi allgemein durch jede Art von äußerer Muskelbewegung lenken, wie es in nahezu allen bekannten Sportarten der Fall ist.
  2. Man kann den Chifluß aber auch durch Atmung beeinflussen. Dies geschieht sowohl durch die äußere Bewegung einiger mehr an der Hautoberfläche liegender Muskeln, als auch durch die Bewegung von Muskeln, die tiefer im menschlichen Gewebe, oft nahe an den Knochen, liegen. Deshalb kann man Atmung sozusagen als die Übergangsübung von Außen nach Innen ansehen.
  3. Man kann zuletzt den Energiefluss durch mentale, sogenannte „innere Bewegung“ beeinflussen. Dieses gilt als die subtilste Art der Beeinflussung oder Lenkung der Lebenskraft Chi. Von äußerer, materiell sichtbarer Bewegung völlig unabhängig kann man durch die so genannte „innere oder auch geistige Bewegung“ in den Kontakt mit dem permanent existierenden Lebenskraftstrom (im chinesischen gerne mit der Bezeichnung Qi-Fluß versehen) kommen. Nachdem man sicher in der Lage ist, diesen in seinem eigenen Innern immerwährend fließenden Energiestrom jederzeit bewusst wahrzunehmen, kann man langsam damit beginnen, diesen Lebenskraftstrom willentlich zu beeinflussen. Dieser bewussten willentlichen Beeinflussung und Lenkung sind auf hohen Stufen der Meditation nahezu keine bekannten Grenzen gesetzt. Das kann aber wirklich nur jemand ermessen, der diese Erfahrungen bereits am eigenen Körper und Geist erlebt hat.

Wir wollen nun wissen, was das Besondere an der Atmung und ihrem Einfluß auf die Energiewahrnehmung, Anreicherung und Vermehrung des Chi, bzw. dessen Lenkung, ist.


Hierzu muß man sich zunächst die normalen, alltäglichen Atemgewohnheiten eines in der Atmung untrainierten Menschen etwas genauer ansehen. Ein normaler Atemzug, wie wir einige Tausend jeden Tag ausführen, ist meist ein fast völlig unbewusst ablaufender Prozeß. Dieser Prozeß hält uns zwar am Leben, und dies in hohem Maße, aber bei den meisten Alltagstätigkeiten merken wir gar nicht, daß wir atmen. So ein Standard-Atemzug füllt unsere Lungen meist nur zu einem geringen Prozentsatz. Je nachdem, was man in seinem Alltag für körperliche Anforderungen hat, ist die Ausatmung oft auch nur sehr oberflächlich. Unser „Atem-Autopilot“ hält unser System zwar am Leben, aber nicht auf einem sehr hohen Niveau. Wir nehmen gerade soviel Chi auf, wie die momentan ausgeübte Tätigkeit eben benötigt. Meist wird kein Extra-Chi aufgenommen, um etwa größere Reserven an Atem-Chi für eventuelle Notzeiten anzulegen. Verglichen mit Spitzensportlern oder im besonderen Apneu-Tauchern (dies sind sehr außergewöhnliche Menschen, die ohne Sauerstoffgeräte über 150 Meter tief tauchen und für ca. 6 Minuten die Luft anhalten können) sind die Alltagsleistungen einer untrainierten Lunge geradezu lächerlich.


Im Tierreich heißt eine Faustregel: alle Tiere, die lange die Luft anhalten können, werden im Allgemeinen sehr alt. Verschiedene Wal- oder Schildkrötenarten können zum Beispiel über zwei Stunden die Luft anhalten. Manche Schildkrötenarten werden mehrere Hundert Jahre alt. Der Mensch ist im Schnitt in der Lage, eine halbe Minute den Atem anzuhalten. Besonders geschulte Menschen kommen auf maximal fünf bis sechs Minuten, siehe oben. Was sind aber zwei bis fünf Minuten im Vergleich mit einigen Stunden im Tierreich?


Die indischen Yogis sind der Ansicht, dass jeder Mensch einen gewissen Betrag an Atemzügen für ein Leben zur Verfügung hat - sagen wir einfach mal maximal einhundert Millionen Atemzüge. Danach ist das Leben unweigerlich zu Ende. Jetzt kommt es nach der Auffassung dieser indischen Yogis darauf an, wie man sich diesen auf den ersten Blick schier unendlich erscheinenden Vorrat an Atemzügen im Laufe des Lebens aufteilt. Wenn ein Mensch ständig außer Atem durchs Leben hetzt, verbraucht sich dieser Vorrat sicherlich schneller als bei einem Menschen, der ein geruhsames, aber dennoch arbeitsreiches und erfülltes Leben führt.


Aus medizinischer Sicht ist es in jedem Fall der Gesundheit förderlich, wenn man die Atemkapazität pro Atemzug erhöhen und damit die Anzahl der Atemzüge, pro Minute, Stunde, Tag, senken kann. Außerdem können verspannte Muskelgruppen, die mit der Atmung direkt oder indirekt verbunden sind, mehr und mehr bewusst gemacht werden und sind dadurch besser fühlbar, steuerbar und einsetzbar.


Asiatische Atemübungen oder sogenannte Atem-Qi Gong Sets (eine Zusammenstellung verschiedener Atemübungen) sind Wege, mit denen diese Dinge erlernbar werden.


Atemübungen
Atemübungen
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Die Bilder zeigen eine Sequenz aus dem Inneren Atem-Qi Gong mit Fäusten



Wir im Tai Chi Forum haben bereits seit Anfang der 80er Jahre Erfahrung im Lehren von Atemübungen und ganz besonders im Üben und Lehren von sogenannten „inneren Atemübungen“ oder „inneren Atem-Qi Gong Sets“. Diese Übungen haben wir auf mehreren Lehrerkursen meines damaligen Hauptmeisters erlernt, sehr intensiv über die Jahre für uns selbst geübt und in der Zwischenzeit schon unzählige Male unterrichtet. Atemübungen oder Atem-Qi Gong Sets waren, sind und werden ein fester Bestandteil unserer seit 1999 veranstalteten Ferienreisen mit Tai Chi und Qi Gong sein. Aus unserer Sicht sind Atemübungen sehr wichtig zum Erlernen und zum vertieften Verständnis innerer Energiearbeit im Tai Chi, Qi Gong und der taoistischen Meditation.


Ich versuche Ihnen nun einmal den Werdegang eines Schülers/Lehrers aufzeigen, der beginnt sich mit Atemübungen zu beschäftigen. Das möchte ich in Bezug auf die oben erwähnten drei Wege tun, in denen wir schwerpunktmäßig unterrichten:


  1. Der Gesundheitsweg

    Alle Übungen, die den Atem als Achtsamkeitsschwerpunkt haben, sind einer Verbesserung der Gesundheit des Menschen in jeder Hinsicht förderlich und deshalb dringend zu empfehlen. Wenn man versucht, seinen Atem zu beobachten und dessen Kapazität und Ausdauer zu erhöhen, wird man unweigerlich mit vielen, scheinbar aus dem Nichts auftauchenden Problemen konfrontiert. Man spürt sehr schnell, daß man zwar tiefer einatmen möchte, dies aber aufgrund von bisher noch nie wahrgenommenen Einzelmuskeln, oder gar ganzen Muskelgruppen, gar nicht kann. Diese Muskeln und Muskelgruppen scheinen den Brustkorb wie eine Art Panzer einzuschnüren und einen wahrhaft tiefen Atemzug geradezu unmöglich zu machen. Das Phänomen des Nach-Luft-Schnappens, wie ein Fisch auf dem Trockenen, hat sicherlich jeder schon erlebt, der einmal versucht hat, fünf bis zehn wirklich tiefe Atemzüge hintereinander auszuführen. Man merkt schnell, daß Dehnungsfähigkeit ein wichtiger Bestandteil einer tiefen Atmung ist. Besonders die Muskeln des Brustkorbes müssen sehr dehnbar sein, will man dauerhaft tief ein- bzw. ausatmen können. Einer meiner ersten Meister hat immer gesagt:


    „Mindestens 5 – 6 verspannte Muskelgruppen behindern eine gute Atmung oder machen einen wirklich inneren Atemzug nahezu unmöglich für einen untrainierten Menschen“.


    Die erste Aufgabe eines guten Atemtrainings ist es, diese verspannten Muskelgruppen durch spezifische Übungen überhaupt erst einmal ins aktive Wachbewusstsein zu bringen. Die zweite Aufgabe ist, durch Übung diese verschiedenen Muskelgruppen so aufeinander abzustimmen, daß ein weitaus tieferer Atemzug möglich und ausführbar wird. Mit der Zeit wird sich die gesamte, an der Atmung beteiligte Muskulatur dehnen, kräftigen und energetisch ausgleichen. Die Yin- und die Yang-Muskeln, bzw. die Yin- und die Yang-Nutzung der Muskeln wird erklärt und geübt. Endziel ist eine weiche, straffe, sehr leistungsfähige Atemmuskulatur, die auch nach 150 oder gar 250 Atemzügen in voller Intensität noch nicht schlapp macht. Die körperliche Versorgung mit frischen Atem-Chi wird durch die gleichmäßigen, entspannten, tiefen Atemzüge wesentlich verbessert. Das heißt, alle Körperzellen erhalten mehr frischen Sauerstoff als bei einer mangelhaften Atmung. Durch ein lang anhaltendes, tiefes Ausatmen wird der Körper zusätzlich besser entgiftet. Es werden wesentlich mehr durch Stoffwechselprodukte entstandene Giftgase aus dem Körper entsorgt. Dies wiederum wirkt kräftigend und stärkend auf die inneren Organe, die Knochen und die Muskeln.

    Sie sehen, dass man in Punkto Gesundheitsförderung mit einer guten, tiefen, gleichmäßigen Atmung einen wertvollen Beitrag leistet, und das mit jedem gut geführten Atemzug, tagein, tagaus, bis ans Lebensende.


  2. Der Meditationsweg

    In diesem Weg ist das oberste Übungsziel nicht die körperliche Gesundheit. Bei einem Menschen, der sich um eine regelmäßige Meditation bemüht, kann man im Allgemeinen davon ausgehen, daß er bereits ein relativ gesundes Leben führt. Meist erwächst der tiefe innere Wunsch nach geistiger Schulung erst, wenn man sich schon eine Weile um relativ gesunde äußere Lebensumstände bemüht hat. „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“, haben schon die alten Griechen und Römer behauptet. Was bringt nun die Atemschulung in Bezug auf meditativen Fortschritt in einer geregelten Meditationspraxis?


    Was die Körperübungen für die Reinigung des physischen Körpers sind, sind die Atemübungen für die Reinigung der geistigen und emotionalen Qualitäten im Menschen. Man kann durch gezielte Atemübungen direkten Einfluß auf geistige Fähigkeiten oder Eigenheiten ausüben. Im ZEN zählt und beobachtet man seine Atemzüge, um verschiedene Aufschlüsse über die Harmonie bzw. Disharmonie der eigenen geistigen Aktivitäten zu erhalten. Über einen ruhigen, sanft dahinfließenden Atem beruhigen sich nach und nach die ansonsten oft sehr unruhigen Gedanken. Es wird möglich, sich besser und länger zu konzentrieren, was ja bei der Meditation ein wichtiger Aspekt ist. In der taoistischen Energiemeditation lernt man, die inneren Energiebewegungen mit verschiedenen Atemtechniken zu beeinflussen. Einmal lässt man das Chi sich schneller bewegen, um mehr Energie pro Zeiteinheit fließen zu lassen, ein anderes Mal verzögert man den Energiefluß, um ihn sich bewusster zu machen, als er normalerweise ist. Manche Verspannungen lassen sich nur durch einen sehr dezenten, langsam geführten Atem in Verbindung mit inneren Vorstellungsbildern lösen. Ein tiefer Atemzug mit einem schnellen Chi-Strom würde hier eher das Gegenteil des gewünschten Effekts erzeugen, weil man unter Umständen mit zuviel Energie ein bestehendes Problem eher verschlimmert, als es zu lösen.


    Ein ruhiger, gleichmäßiger Atemstrom spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung einer entspannten, aber dennoch geistig hoch präsenten meditativen Grundhaltung. Wenn man in höheren Meditationen für lange Zeit hoch konzentriert an inneren Prozessen arbeitet, oder diese wenigstens achtsam begleitet, dann hilft einem ein ruhig dahin fließender Atem in Verbindung mit einem ruhigen Energiestrom sehr, diese Aufgabe zu erfüllen.


  3. Der Kampfkunstweg

    Dieser dritte Weg hat nun wieder andere Ziele und Zwecke, die er mit einer tiefen und verbundenen Atmung erreichen will. Im Kampf ist es wichtig, nicht außer Atem zu kommen. Man muß für die körperlich extrem fordernden Tätigkeiten während des Kämpfens eine gute Atemausdauer und Anpassungsfähigkeit trainieren. Hierbei geht es nicht in erster Linie darum, möglichst lange, tiefe und ruhige Atemzüge mit einem Maximum an Atemvolumen zu machen. Vielmehr ist es erforderlich, den Atemfluß jedweder Art und Weise von Bewegungen anzupassen, ob diese nun langsam, schnell oder extrem schnell sind oder ob man rennt oder springt. Dies erreicht man durch spezielle Atemübungen, bei denen man über einen längeren Zeitraum das schnelle Ein- bzw. Ausatmen übt. Ein weiterer Aspekt des inneren Kampfkunsttrainings ist es, die Energie für Schläge, Stöße, Tritte und Würfe nicht aus der normalen Muskelaktivität zu ziehen, sondern aus dem Chi-Fluß im Körper. Durch Atemübungen, die speziell im "Inneren Atem-Qi Gong" trainiert werden, lernt man, mit dem Atem den Energiefluß zu lenken und dessen Intensität der Intensität der Atmung anzupassen. Man kann den inneren Atem vor der Bewegung herschicken, ihn zeitgleich mit der Bewegung ausführen oder ihn sozusagen als Motor hinter der materiellen Bewegung herschicken. Diese mindestens drei Möglichkeiten kennen wir im Tai Chi Forum, um mit dem inneren Atem eine Bewegung zu unterstützen. Natürlich lernt man so etwas am besten von einer in diesen Dingen erfahrenen Person. Speziell die inneren Atem Qi Gong Sets, und das Opposite Innerer Atem Qi Gong trainieren diese für die Kampfkunst notwendigen Aspekte in hervorragender Weise. Das heißt nicht, daß diese Übungen deshalb für die anderen beiden Zweige weniger wertvoll sind. Jede wie auch immer geartete Beschäftigung mit dem Atem, sowohl dem äußeren als auch dem inneren Atem, ist immer eine lohnenswerte Beschäftigung, bei der man viele positive Aspekte mitübt und trainiert.


Wie Sie sehen, ist das Atemtraining im Tai Chi Forum Deutschland, welches außer Tai Chi auch noch die fünf anderen inneren Künste lehrt, ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung und Schulung. Wir sind jederzeit nur einen Atemzug vom Tod entfernt. Wir beginnen zu leben mit dem ersten Atemzug und wir sterben mit dem letzten. Der Atem ist unmittelbar mit dem Leben und dem inneren Fluß der Lebenskraft verbunden, aber genauso mit dem Versiegen dieses immerwährenden Flusses.


Damit sollte jedem Menschen klar sein, daß richtiges, gutes und tiefes Atmen ein wesentlicher Bestandteil einer guten und vollständigen Ausbildung der inneren Kampf-, Meditations- oder Heilkünste sein muss.